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12. Jun 2023
Neue Pfändungsfreigrenzen ab dem 01.07.2023.

03. Nov 2016

Anwaltliche Kritik an Missständen in der Justiz


Die Situation, dass das Vorgehen des Gerichtes nicht mehr nachvollziehbar erscheint, kennen wohl die meisten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Nicht selten hat es bereits in den Fingern gejuckt, dem Gericht einmal ordentlich die Meinung zu geigen, wenn es Anträge mit einer offensichtlich fehlerhaften oder wirren Begründung verwirft, Entscheidungen von politischen und nicht von rechtlichen Gründen getragen werden, zu lang auf eine Entscheidung gewartet werden muss oder man sogar von der eigenen Partei über Verfahrensschritte aus der Presse informiert wird. Wie weit aber dürfen Anwälte bei ihrer Kritik am Gericht gehen? Wie weit müssen Sie mit ihrer Kritik am Gericht gehen, wenn Sie ihren Status als unabhängiges Organ der Rechtspflege ernst nehmen?


Die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vertritt dazu folgende Rechtsauffassung (EGMR, Urteil vom 23.04.2015, 29369/10 - Morice c. France – NJW 2016, 1563): Das Gericht betont die enge Verbindung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung gem. Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der anwaltlichen Unabhängigkeit. Beide sind für eine wirksame und faire Justiz unabdingbar. Eine Einschränkung durch Strafverfolgung dürfe nur ausnahmsweise erfolgen. Rechtsanwälte dürfen auch öffentlich auf konkrete Missstände in der Justiz hinweisen, soweit es dafür eine solide Tatsachengrundlage gibt und die Grenzen zulässiger Kritik eingehalten werden. Kritikwürdige Umstände zu kritisieren ist und bleibt vornehmlich eine anwaltliche Pflicht!


Diese Problematik war Gegenstand eines Strafverfahrens vor dem Oberlandesgericht München. Dort hatte ein Rechtsanwalt nach umfassenden Ausführung mit sachlichen Argumenten im Rahmen eines Verfahrens folgende Worte für das nach seiner Auffassung rechtswidrige Vorgehen des Gerichtes gewählt:

„Ihr Gefühl von Machtvollkommenheit kennt offenbar keine Grenzen, keine Scham. Anders als Roland FREISLER (Präsident des NS-Volksgerichtshofes) der überhaupt keinen Wert darauf gelegt hat, das von ihm begangene Unrecht zu verschleiern, berufe der Richter sich im hiesigen Verfahren auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handele dem aber in dem vorliegenden Justizskandal zuwider.“

Vor dem Landgericht München I (Urteil vom 16.02.2016, 22b Ns 235 Js 132863/15) wurde der Rechtsanwalt dafür wegen Beleidigung verurteilt. Das Gericht führte aus, dass die Worte des Rechtsanwaltes für das betreffende Gerichtsverfahren verfahrensrechtlich nicht mehr relevant waren und daher als Beleidigung strafbar sind. Dieses Urteil wäre eine Katastrophe für die Rechtsanwaltschaft und den Rechtsstaat gewesen. Das Oberlandesgericht München (Beschluss vom 11.07.2016, 5 OLG 13 Ss 24/16) sah das anders; es hielt die Kritik des angeklagten Rechtsanwaltes an der Vorgehensweise des Gerichts für gerechtfertigt im Sinne von § 193 StGB. Harte Worte habe der Rechtsanwalt zwar gebraucht, aber er habe sich im Rahmen eines noch anhängigen Gerichtsverfahrens geäußert und zu dem umfassend dargelegt, wieso das Gericht aus seiner Sicht rechtswidrig vorgegangen sei. Solche Kritik an ihrer Arbeit müssen Richter in „Kampf um das Recht“ aushalten.


Fazit: Die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft ist tragende Säule der Funktionsweise des Rechtsstaates. Die Freiheit der sachlichen Meinungsäußerung über Gebaren und Entscheidungen von Gerichten und Staatsanwaltschaften wird nach Auffassung des Unterzeichners viel zu selten in dem rechtlich zulässigen Maße ausgeschöpft. Allzu häufig verkneift man sich die Kritik, um das Verhältnis zwischen der Rechtsanwaltschaft und dem Gericht bzw. der Staatsanwaltschaft nicht über Gebühr zu belasten. Dies ist sehr bedauerlich. Die anwaltliche Tätigkeit und hier insbesondere die Tätigkeit im Rahmen einer Strafverteidigung ist kein Sympathiewettbewerb. Es geht um die Verteidigung des Rechtes. Das Recht kommt nur dann zur Geltung, wenn ernsthaft und konsequent darum gekämpft wird. Essenzieller Bestandteil dieses Kampfes ist auch die offene aber sachliche Kritik an Missständen in der Justiz. Nur dann, wenn die Rechtsanwaltschaft die ihr insoweit obliegende Aufgabe vollständig erfüllt, ist die Funktionsweise des Rechtsstaats sichergestellt. Harte aber sachliche Kritik ist Bestandteil eines fairen Umganges zwischen den Organen der Rechtspflege. Letztendlich profitieren davon Justiz wie Rechtsanwaltschaft. Der größte Gewinner jedoch ist der Betroffene, der Mandant, der Angeklagte, also derjenige, der von der Entscheidung des Gerichtes unmittelbar betroffen wird. Dessen Position zu vertreten und zu verteidigen ist die Aufgabe der Rechtsanwaltschaft. Dabei sollte aber nicht aus dem Auge verloren werden, dass letztendlich der Ton die Musik macht.

Verfasser: Frank Hengst