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21. Nov 2015

Streckenposten auf Motocross-Strecken bei einem freien Training


In dem Rechtsstreit wurde der Betreiber einer Motocross-Strecke auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen eines Unfalls in Anspruch genommen. Der Kläger war bei einem Motocrosstraining auf der Strecke gestürzt. Die Strecke war während des Trainings nicht durch Streckenposten abgesichert, Das Gericht hat die Klage abgewiesen und folgende Orientierungssätze vorgegeben:

  1. Der Betreiber einer Motocross-Strecke ist nicht verpflichtet, allen denkbaren Gefahren vorzubeugen.
  2. Die Benutzung einer Motocross-Strecke darf nicht regellos oder vollständig unbewacht sein. Dies könnte zur Folge haben, dass die Benutzer unkontrolliert auf dem Gelände herumfahren und hierdurch Gefahren für andere Benutzer entstehen, die über das übliche Benutzungsrisiko hinausgehen. Das Vorhandensein eines entsprechenden Reglements für die Anlage ist insofern als ausreichend anzusehen.
  3. Die Überwachung möglicher Gefahrenstellen durch Streckenposten ist bei einem freien Training nicht erforderlich.

Das Gericht (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.02.2015, 11 U 91/14) hat diese erfreuliche Entscheidung wie folgt begründet:

Der Kläger hat gegen den Betreiber einer Motocross-Strecke weder einen vertraglichen (§ 280 Abs. 1 BGB) noch einen deliktischen (§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB) Schadensersatzanspruch. Zwar ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst dabei diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind.

Eine Besonderheit gilt für eine Sport- und Spielanlage, wie sie auch hier mit der streitgegenständlichen, von dem Beklagten betriebenen Motocross-Strecke vorliegt. Der Betreiber einer solchen Anlage braucht nicht allen denkbaren Gefahren vorzubeugen. Die Verkehrssicherungspflicht erfordert lediglich den Schutz vor Gefahren, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen, vom Benutzer oder solchen Personen, deren Kenntnis sich der Benutzer zurechnen lassen muss, nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar sind. Diese Grundsätze gelten auch für die Verkehrssicherungspflicht im Rahmen des Betriebs einer Motocross-Strecke. Auch insoweit besteht eine Verkehrssicherungspflicht lediglich im Hinblick auf atypische, nicht von vornherein erkennbare bzw. vorhersehbare Gefahren. Solche bestehen etwa bei ungesicherten Hindernissen in der Rennbahn oder aber bei einer sich teilweise überschneidenden Streckenführung mit Kreuzungsverkehr. Die Möglichkeit von Stürzen während einer Trainingsfahrt und von Kollisionen mit nachfolgenden Motocross-Fahrern liegt jedoch grundsätzlich im Rahmen des von vornherein zu erwartenden Risikos der gemeinsamen Nutzung einer Motocross-Strecke. Das Befahren einer Motocross-Strecke, insbesondere zusammen mit anderen, stellt eine Sportausübung mit erhöhtem Gefahrpotenzial dar. Dies gilt auch dann, wenn es einem Fahrer nicht darum geht, die Strecke in möglichst kurzer Zeit, also mit einer möglichst hohen Geschwindigkeit zu absolvieren. Die Gefährlichkeit des Motocross-Fahrens manifestiert sich auch dann, wenn die Strecke von verschiedenen Fahrern mit unterschiedlichem fahrerischen Können unabhängig voneinander und mit unterschiedlicher Motivation befahren wird. Dies gilt umso mehr, als eine Motocross-Strecke eine unebene, nicht befestigte Strecke im Gelände darstellt, deren Beschaffenheit je nach Witterungsverhältnissen ganz andere Anforderungen an das fahrerische Können und die Beherrschung des Motorrades stellt als etwa die Teilnahme am Straßenverkehr. Das Fahrverhalten des Motorrades auf einem solchen mit Löchern und Bodenwellen versehenen Untergrund ist ein anderes als das auf einer asphaltierten Straße. Bereits geringfügige Fahrfehler können zu Unfällen und Stürzen führen, durch die andere Fahrer und auch der Betroffene selbst gefährdet werden können. Diese Umstände sind den betroffenen Verkehrskreisen geläufig. Das gilt im konkreten Fall auch für den Kläger und dessen Vater, die jeweils seit mehreren Jahren im Motocross-Sport aktiv waren.

Zwar darf die Benutzung einer Motocross-Strecke nicht regellos oder vollständig unbewacht sein. Denn dies könnte dazu führen, dass Benutzer unkontrolliert auf dem Gelände herumfahren und dadurch für einen anderen Benutzer Gefahren entstehen, die über das übliche Risiko bei der Benutzung einer Motocross-Strecke hinausgehen. Doch reicht insoweit das Vorhandensein eines entsprechenden Reglements für die Anlage aus. Die Einhaltung der notwendigen Ordnung auf der Motocross-Strecke muss in jedem Fall durch die Anwesenheit eines Platzwartes sichergestellt werden.

Bei einem freien Training ist es indes nicht als erforderlich zu erachten, dass mehrere Streckenposten mögliche Gefahrenstellen einer Motocross-Strecke überwachen. Eine solche engmaschige Überwachung bei einem freien Training ist nicht verkehrsüblich. Hinzu kommt, dass für die Benutzer der Motocross-Strecke im vorliegenden Fall ohne weiteres sichtbar war, dass es keine Streckenposten gab.

Die obigen Erwägungen gelten auch für sonstige Sicherungsvorkehrungen, die sich nach der Auffassung des Klägers angeboten hätten. Die Möglichkeit, Eltern hinter ihren Kindern herfahren zu lassen, stellt eine Gefahrenquelle eigener Art dar. Hierauf haben sich die Verantwortlichen der Beklagten mit Recht nicht eingelassen. Andere Vorkehrungen wie die Installation von Videokameras oder von Spiegeln an schlecht einsehbaren Streckenabschnitten sind ebenso wenig geeignet, Unfälle wie den streitgegenständlichen zuverlässig zu verhindern. Sie sind auf deutschen Motocross-Strecken gänzlich unüblich.

Im Hinblick auf die Möglichkeit, die Kinder einzeln oder zeitversetzt auf der Motocross-Strecke fahren zu lassen, ist zu berücksichtigen, dass eine solche Maßnahme den Charakter des Motocross-Fahrens einschneidend verändern würde. Den Teilnehmern geht es auch im Rahmen eines Trainings gerade darum, sich mit anderen zu messen, andere zu überholen, mithin im Training eine Rennsituation zu simulieren und so das Fahren in Konkurrenz mit anderen einzuüben. Hinzu kommt, dass die Teilnehmer in der Regel mit stark unterschiedlichen Geschwindigkeiten fahren, sodass ein zeitversetztes Fahren nicht zuverlässig verhindern würde, dass sich Fahrer nahekommen.

Höhere Sicherungsanforderungen ergeben sich weiter nicht aus dem Umstand, dass der Beklagte die Rennbahn seinerzeit zeitlich versetzt für Erwachsene und für Kinder freigab und der streitgegenständliche Unfall während des freien Trainings für Kinder geschah. Der minderjährige Kläger muss sich an den dargelegten Grundsätzen schon deshalb festhalten lassen, weil ihm der ihn vertretende sorgeberechtigte Vater gestattet hatte, auf der Motocross-Strecke zu fahren. Dies gilt angesichts des für beide Teile ersichtlichen Umstands, dass keine Streckenposten oder sonstige Sicherungen vorhanden waren. Dem erhöhten Sicherheitsbedürfnis der Kinder wurde gerade dadurch Rechnung getragen, dass Erwachsene, welche schnellere und größere Maschinen fahren, ausgeschlossen wurden.

Schließlich lässt sich anderes nicht mit dem Inhalt des Reglements für Motocross des Deutschen Motorsportbundes (DMSB) rechtfertigen. Dort ist zwar unter Nr. 16.3 ausdrücklich die Einrichtung einer ausreichenden Zahl von offiziellen Flaggen bzw. Streckenposten vorgesehen, doch gilt das DMSB Motocross-Reglement lediglich für Wettbewerbsveranstaltungen. Ein von einem Veranstalter organisierter Wettbewerb zeichnet sich dadurch aus, dass der Veranstalter die Verantwortung für die Organisation und für den Ablauf der Wettkampfrennen übernimmt. Das Leistungsprogramm geht damit über ein bloßes Zurverfügungstellen einer Motocross-Strecke zur freien Benutzung hinaus. Deswegen lässt sich das freie Training, im Rahmen dessen der Kläger verletzt wurde, auch nicht mit einer geleiteten Trainingsveranstaltung vergleichen. Denn auch bei einer solchen Veranstaltung ist das Leistungsprogramm des Veranstalters erweitert. Er schuldet insoweit eine Instruktion und Fortbildung der Trainingsteilnehmer sowie die Sicherstellung eines geregelten und ausbildungsgeeigneten Ablaufs der Trainingsfahrten selbst. Eine solche Betreuung der Motocross-Fahrer oblag der Beklagten vorliegend gerade nicht, weil sie nicht Inhalt der vertraglichen Einigung der Parteien war.

Letztlich ist zu konstatieren, dass der Motocross-Sport eine für alle Beteiligten erkennbar gefährliche Sportart ist. Die Gefahren lassen sich in zuverlässiger Weise nur durch solche Maßnahmen minimieren, die entweder so kostenträchtig sind, dass ein freies Training von Motocross-Vereinen nicht mehr angeboten werden könnte, oder aber den Charakter des Motocross-Fahrens so stark modifizieren würden, dass die Attraktivität dieses Sports für Kinder und Jugendliche verlorenginge. Das Angebot von Vereinen würde dann keine Akzeptanz mehr finden, mit der Folge, dass Kinder und Jugendliche in die freie Landschaft auswichen, wo es keine sachverständig abgenommenen Rennbahnen und keine Überwachung gibt. Vor diesem Hintergrund ist es hinzunehmen, dass die beteiligten Verkehrskreise die mit einem freien Training auf einer eigens für den Motocross-Rennsport hergerichteten Rennpiste einhergehenden erkennbaren Gefahren auf sich nehmen.

Verfasser: Frank Hengst